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Tibet 2005 - Trekking zu unbekannten Klöstern - Teil 2 -
Frank Stegherr 18.06.2005
Ein Feldweg Namens "Friendship Highway"
Aber nicht nur das Wandern in diesem faszinierend Land ist mühsam, sondern auch jede Autofahrt ist eine wahre Tortour. Straßen durchziehen das Land die im Westen noch nicht einmal mehr als Feldweg durchgehen würde. So werden die eh schon enormen Distanzen um ein Vielfaches größer. Überlandfahrten die in Europa in einer Stunde zu bewältigen sind und über die man sich kaum mehr Gedanken macht, mutieren in Tibet zu wahren Weltreisen. Zu Reisen, die entsprechende Vorbereitungen benötigen, Reisen die nicht an Tankstellen und Imbissbuden vorbeiführen, Reisen die durch menschenleere Gebiete führen. Sollte eine Panne das Auto stoppen so kann nicht schnell mal über die nächste Notrufsäule der ADAC verständigt werden. Pflicht ist daher mindestens einen vernünftigen Ersatzreifen im Gepäck zu haben, genug Wasser, Nahrung, Sonnenschutz und natürlich die Kamera!
Bild 7. Bei einer Autopanne
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So menschenleer große Teile Tibets erscheinen mögen, so schnell sind die Einheimischen zur Stelle, wenn wirklich etwas passieren sollte. So hat man stets das Gefühl, dass Autos oder Zelte der Fernseher der Tibeter sind. Hat es sich der Tourist erst einmal in seinem Zelt gemütlich gemacht so finden sich schnell eine Handvoll Tibeter jeden Alters vor diesem ein. Das Interessante dabei ist, dass sie gar nicht besonders unterhalten werden wollen, statt dessen scheint sie alles zu faszinieren was sich so tut, und mag es noch so belanglos erscheinen. So wird alles beobachtet, besprochen und kommentiert und sollte es irgendwann doch unerwarteter Weise langweilig werden so wird einfach zum nächsten Zelt weitergezogen in der Hoffnung dass dort ein besserer Film läuft.
Popcorn und Cola
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Bild 8. Buttertee wird gestampft
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Dummerweise gibt's keine Kinokasse mit frischem Popcorn oder Cola - oder besser Buttertee und Tsampa. Was den Nepalesen das Daal Bhat, den Bayern die Weißwurst und das Bier und den Amerikanern der Hamburger und das Cola, das ist für die Tibeter der Buttertee und das Tsampa. Wer aber den Buttertee als Tee trinkt und auch Tee erwartet der wird herb enttäuscht sein. Dieses einzigartige Gebräu wird zwar aus schwarzem Tee gemacht jedoch wird in einem typischen, langgestreckten Holztopf mit einem Stampfer der heiße Tee mit der Butter vermischt und mit Salz gewürzt. War die Hausfrau fleißig, so ergibt sich eine komplett homogene Flüssigkeit auf der keinerlei Fettaugen mehr schwimmen. Bei ranziger Butter - was durch die mangelnde Kühlung häufig vorkommt - ergibt sich ein ziemlich unangenehmer Geschmack. Ein Gerücht ist allerdings dass die Tibeter diesen kräftigen Geschmack bevorzugen, statt dessen lieben auch sie den Tee aus frischer Butter, der auch bedeutend besser schmeckt und auch für den westeuropäischen Gaumen wirklich akzeptabel ist.
Das zweite Grundnahrungsmittel Tsampa ist geröstetes Gerstenmehl, gewonnen aus einer der wenigen Nutzpflanzen die noch auf dieser Höhe in diesem extremen Klima wächst. Das Gerstenmehl wird mit ein wenig Buttertee angerührt und dann zu kleinen Kugeln geformt, die so gegessen werden. Übrigens werden mit diesem Verfahren auch die bunten Figuren hergestellt, die man oft in Klöstern bestaunen kann, jedoch eher an Kunstwerken aus der Flower-Power-Zeit erinnern. Zurück jedoch zu Buttertee und Tsampa, die Frage die sich jedem halbwegs ernährungsbewussten Touristen aufdrängt ist wie in aller Welt die Tibeter bei dieser Lebensmittelauswahl an die so lebenswichtigen Vitamine kommen. Entweder sie produzieren sie selbst im Körper, was anderen Völkern schon lange nicht mehr möglich ist oder sie benötigen sie einfach nicht. Aber diese Frage stellt sich bei den Amerikanern mit ihren Hamburgern und Cola auch niemand mehr!
Chinesische Kultur
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Bild 9. Pekingente
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Beobachtet man jedoch die Jugend in den Städten wie Lhasa oder Shigatse und erwartet dass sie in Kürze ihren Buttertee und das Tsampa aus der Hosentasche ziehen wird wiederum enttäuscht. Auch wenn im Westen der Eindruck entsteht, dass alle Tibeter unter dem chinesischen Joch leiden, der wird eines Besseren belehrt. Auch wenn das Verhältnis zwischen Tibetern und Chinesen unübersehbar gespannt ist, die heutige Jugend weiß sehr wohl die Annehmlichkeiten die ihnen die Besatzung auch gebracht haben zu schätzen. So wird Buttertee und Tsampa gerne durch die reichhaltige und abwechslungsreiche chinesische Küche eingetauscht. Auch wenn es schnell gehen soll wird nicht zu Gerstenmehl gegriffen, sondern zu den chinesischen Fertigsuppen in den roten Plastiksuppenschüsseln, die ausgelöffelt überall in der Landschaft rund um die menschlichen Ansiedlungen vor allem an stark frequentierten Straßen zu finden sind.
Insofern ist das Verhältnis zwischen Tibetern und Chinesen ziemlich ambivalent. Keine Frage, völkerrechtlich ist die Besetzung Tibets durch die Chinesen nicht zu rechtfertigen, auch die Zerstörung und das Leid, das die Kulturrevolution über das Land gebracht hat, ist eigentlich nicht wieder gut zu machen, obwohl heute viele Klöster wieder aufgebaut werden - für die Touristen. Nichts desto trotz bringen die Straßen und die Eisenbahnlinien die Peking zur Erschließung Tibets bauen lässt und damit ihren Machtanspruch in Tibet sichtbar werden lassen, einen bescheidenen Wohlstand ins Land. Die Lebenssituation, zumindest in den Städten, hat sich in den letzten Jahren deutlich verbessert. Auf der anderen Seite stellen die Chinesen inzwischen die Mehrheit, die Tibeter werden zur Minderheit im eigenen Land die zum Teil von der Entwicklung abgekoppelt sind. Jedoch ist das eher ein Problem der älteren Generation, die Jugend ist wie überall auf der Welt sehr aufgeschlossen und verstehen das Beste aus beiden Welten zu kombinieren.
Tauziehen um die Jugend
Bild 10. Schulkinder
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Nicht zu übersehen ist jedoch die Einflussnahme der Chinesen auf die Kinder, auf die Jugend. Die inzwischen aufgebauten Schulen die zweifellos die dringend benötigte Bildung in das Land gebracht haben werden auch zu Orten um die heranwachsende Generation ideologisch zu formen und damit den Widerstand zu reduzieren, den die alten Tibeter nach wie vor dem Regime aus dem fernen Peking entgegenbringen. Im Gegenzug schicken viele tibetische Familien ihre Kinder ins tibetische Exil nach Dharamsala in Indien um dort eine Ausbildung im buddhistischen Sinne zu erlangen. Auch die Inthronisierung einer Reinkarnation des Panchen Lamas von Seiten der Chinesen soll dazu beitragen die tief in ihrem Glauben verwurzelten Tibeter zu manipulieren. Solange jedoch der Dalai Lama diesen nicht anerkennt und statt dessen eine eigene Reinkarnation erkennt wird die Rechnung nicht aufgehen.
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Bild 11. Altstadt von Gyantse
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Trotzdem sollte jeder Tourist seine Meinung oder besser Vorurteile zunächst an der Grenze abgeben. Wer mit offenen Augen durch das Land geht und am Ende der Reise seine gewonnenen Einsichten mit denen an der Grenze zurückgelassenen vergleicht, wird erstaunt sein ob der wesentlich differenzierteren Meinung die er entwickelt hat. Sieht er zum Beispiel die modernen, charakterlosen und schnell hochgezogenen chinesischen Bauwerke wendet er sich sicherlich schnell ab und betrauert die ach so schöne alte Zeit, die er eventuell aus "Sieben Jahre Tibet" kennt. Die alten tibetischen Häuser mit ihren so typischen Fenstern und Türen erscheinen dagegen angenehm pittoresk. Welcher Tourist möchte aber in solchen Häusern wohnen, ohne fließend Wasser, ohne Elektrizität, ohne Toilette? Dazu kommt auch noch das Unverständnis des Westens warum in aller Welt alte Gebäude und Heiligtümer abgerissen und neu aufgebaut werden, statt die Substanz zu erhalten und sanft zu renovieren. Der Grund ist recht einfach und ist nicht ausschließlich den Chinesen zuzuschreiben. Die Tibeter legen einfach keinen Wert darauf wie alt zum Beispiel ein Heiligtum ist, sondern für sie ist es viel wichtiger was es darstellt, was es ausdrückt.
Abschließend lässt sich sagen, das die tibetische Kultur mit unseren Maßstäben kaum begreifbar ist. Und das viel gescholtene chinesisch - tibetische Verhältnis trifft Uli Franz in seinem Buch "Gebrauchsanleitung für Tibet" in meinen Augen ziemlich gut. Auf die Frage ob es möglich ist, ein "ethnisches" Tibet innerhalb des Großraumstaates China zuschaffen antwortet er mit einem klaren Jein. Er sagt, erst wenn der Chinese seine Zivilisation nicht mehr für die einzig wahre unter dem Himmel hält und der Tibeter nicht mehr seinem Nationalismus nachtrauert, erst wenn jeder von beiden sagt: "Ich bin ich", dann kann aus dem Jein ein Ja werden.
Anmerkung: Dieser Artikel erhebt nicht in der geringsten Weise Anspruch auf Vollständigkeit und noch viel weniger auf absolute Wahrheit. Er basiert auf meinen Erfahrungen und Vorurteilen die ich im Rahmen einer Tibetreise 2005 gesammelt habe, aus Beobachtungen, Gesprächen, Studium von Büchern, Erklärungen von Reiseleitern, Berichterstattungen in den Medien etc. Anmerkungen, Kritik und dergleichen sind herzlich erwünscht unter webmaster@photoimages.de
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